Was das Archer’s Paradox wirklich ist – und was es entgegen landläufiger Meinung nicht ist

Bogenschütze Pfeilflug Archer's Paradox

Du hast den Begriff Archer’s Paradox vermutlich schon einmal im Zusammenhang mit Begriffen wie „Spinewert“, „Pfeiltuning“ und dem „Durchbiegen des Pfeils beim Abschuss“ gehört. Manchmal wird er fälschlicher Weise auch „Archers Paradox“ geschrieben, es heißt jedoch „Archer’s Paradox“.

Wenn man nach dem Begriff Archer’s Paradox googelt oder auf YouTube sucht, findet man z.B. Videos wie dieses hier:

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Landläufig wird unter dem Begriff Archer’s Paradox das hin- und her schwingen des Pfeiles nach dem Abschuss verstanden. Aus zwei Gründen ist dies nicht korrekt:

Erstens ist das schon begrifflich nicht richtig! Denn das Oszillieren des Pfeils ist physikalisch betrachtet nichts, was auf irgendeine Art und Weise ungewöhnlich oder gar paradox erscheint. Vielmehr folgt dieses Schwingen einfachsten physikalischen Grundregeln der Mechanik. Dazu komme ich aber weiter unten noch einmal detaillierter.

Zum Zweiten heißt es ja auch Archer’s Paradox und nicht Arrow’s Paradox. Es ist also ein Paradoxon des Schützen (Archer’s) und nicht des Pfeils. Was ist es nun aber genau, das hier so paradox ist? Nähern wir uns dem Thema doch mal an.

Gibt es das Archer’s Paradox bei allen Bögen?

Nein, es gibt das Archer’s Paradox nur bei Bögen ohne Center-Shot. Also bei Bögen, bei denen der Pfeil nicht in der vertikalen Mitte des Bogens liegt. Das gilt im Prinzip für alle Selfbows, Langbögen, Jagdrecurvebögen. Es existiert insbesondere bei auf Center-Shot eingestellten Compoundbögen und modernen Recurves, sofern diese auf Center-Shot eingestellt werden, dagegen nicht.

Bogen mit Center-Shot

Bogen mit Center-Shot

Bogen ohne Center-Shot

Bogen ohne Center-Shot

Je weiter der Pfeil von der vertikalen Mitte des Bogens weg liegt, desto stärker tritt das Archer’s Paradox auf.

Was kann es sein, das dem „Archer“ hier paradox erscheint?

Wenn es sich also um ein Paradoxon des Schützen handelt und gleichzeitig etwas mit dem Pfeil zu tun zu haben scheint, so hat es möglicherweise etwas mit dem Zielen bzw. der erwarteten Flugbahn des Pfeiles zu tun.

Wenn man die Flugrichtung des Pfeils vorhersagen will, betrachtet man seine Ausrichtung im Vollauszug. Auf den Punkt, auf den er im Moment des Vollauszugs zeigt, trifft er auch, wenn man ihn löst, oder?

Allerdings wird er ja bis zum Erreichen der Standhöhe und etwas darüber hinaus von der Sehne geführt und hat so im Moment des Lösens der Nocke von der Sehne von seiner Ausrichtung her eine andere Positionierung, als beim Vollauszug.

Betrachtet man die Ausrichtung des Pfeils auf Höhe der Standhöhe gegenüber der vertikalen Ausrichtung des Bogens, so stellt man eine deutlich größere seitliche Abweichung gegenüber der Ausrichtung im Vollauszug fest. Und trotzdem trifft der Pfeil den Punkt entsprechend seiner Ausrichtung im Vollauszug! Paradox, nicht wahr?

Archer's Paradox im Vollauszug

Ausrichtung des Pfeils gegenüber der Mittelachse des Bogens im Vollauszug

Archer's Paradox auf Standhöhe

Ausrichtung des Pfeils gegenüber der Mittelachse des Bogens auf Höhe der Standhöhe

Die richtige Definition von Archer’s Paradox

Aus dem oben abgeleiteten kann man also folgende Definition für den Begriff Archer’s Paradox festlegen:

Archer’s Paradox bezeichnet den Umstand, dass ein Pfeil in die Richtung fliegt, in die er im Vollauszug zeigt, obwohl er beim Abschuss eine Position durchqueren muss, in welcher er eine deutliche seitliche Abweichung zu diesem Zielpunkt hat.

Hat das Oszillieren des Pfeils nun etwas mit dem Archer’s Paradox zu tun oder nicht?

Das genau abgestimmte, oszillierende hin- und herschwingen des Pfeils ist nicht das Archer’s Paradox selbst, sondern letztlich einfach die Erklärung für dieses Paradoxon. Oder anders gesagt: Nur, wenn der Pfeil perfekt auf den Schützen und Bogen abgestimmt ist, oszilliert er so, dass das Paradoxon erfüllt wird und der Pfeil auf der vertikalen Trefferlinie bleibt, auf die er im Moment des Vollauszugs gezeigt hat. Und das unabhängig von der Entfernung zum Ziel.

Bei Bögen mit Center-Shot schwingt der Pfeil unabhängig davon, ob mit Release oder Fingerablass geschossen wird auch, es gibt hier allerdings kein Archer’s Paradox, da der Pfeil sowohl in Vollauszug, als auch auf Standhöhe gleich ausgerichtet ist. Siehe dazu bereits oben.

Physikalischer Hintergrund des oszillierenden Pfeils

Jetzt wird es Zeit noch einmal die Hintergründe des Hin- und Herschwingen des Pfeils etwas genauer zu beleuchten und einige mechanische Grundsätze in diesem Zusammenhang anzuführen. Diese gelten sowohl bei Bögen mit, als auch ohne Center-Shot. (Dass Center-Shot-Bögen meist mit Release geschossen werden und die seitliche Kraft bzw. Ablenkung durch die Finger hier nicht vorkommt, soll bei dieser Betrachtung außen vor bleiben.)

Im Moment des Öffnens der Finger der Zughand wirken auf das hintere Ende des Pfeils zwei Kräfte ein. Zum einen die Beschleunigung durch die Sehne in Richtung der Mittelachse des Bogens. Und zum anderen eine deutlich kleinere Kraft in Richtung des Schützen.

Durch diese beiden Kräfte auf das hintere Ende des Pfeils und die Masseträgheit der Pfeilspitze, wird die Mitte des Pfeils in Richtung des Bogens gebogen. Die Sehne und Pfeilnocke beschreiben dabei auch keine linienförmige Bewegung nach vorne zum Bogen, sondern eher eine S-förmige Bewegung. Die Pfeilnocke wird dabei zunächst zum Schützen hin und aus der vorhergesagten Flugbahn herausbewegt.

Nach dem dritten Newton‘schen Gesetz ruft jede Krafteinwirkung eine gleich große Gegenkraft hervor. Und so federt der Pfeil anschließend in die Gegenrichtung zurück, usw.

So kommt der Pfeil sozusagen ohne Kontakt am Bogen vorbei, berührt diesen im Idealfall nicht und behält gleichzeitig seine im Vollauszug angepeilte Flugrichtung bei. Und das obwohl er auch die Standhöhe „durchqueren“ muss, in welcher seine Ausrichtung deutlich von der Zielflugbahn im Vollauszug abweicht. (Siehe Archer’s Paradox bei Nicht-Center-Shot-Bögen oben!)

Oszillierender schwingender Pfeil

Schematische Darstellung des oszillierenden (schwingenden) Pfeils

Die beschriebene oszillierende Bewegung nimmt nach und nach während des Pfeilfluges ab. Zusätzlich kommt dann nach Verlassen der Sehne noch eine Drehbewegung des Pfeilschafts (je nach Befiederung rechts oder links, stark oder schwach) hinzu, die das Oszillieren aus der rechtwinklig zur Sehne und Bogen stehenden Ebene heraus in den dreidimensionalen Raum überträgt.

Wie hängen nun der schwingende Pfeil, das Archer’s Paradox und das Thema Pfeiltuning zusammen?

Das Archer’s Paradox ist, wie wir oben festgestellt haben, das paradoxe Optimum des Pfeilverhaltens, das wir im Rahmen des Pfeiltunings herstellen müssen.

Nur durch den perfekt auf den Bogen und Schützen abgestimmten und getunten Pfeil erhält dieser im Moment des Abschusses die richtige oszillierende Schwingung, um ohne Kontakt am Bogen vorbei zu kommen und auf der idealen Flugbahn zu fliegen. Nur durch dieses durch Tuning optimale Schwingen wird das Paradoxon erfüllt.

Zusammenhang Pfeiltuning Pfeilflug Archer's Paradox

Wie man bei der Pfeilabstimmung idealerweise vorgeht, haben wir ja bereits in unserem Blogartikel »Wie finde ich den passenden Pfeil« erläutert. Lies ihn dir gerne einmal durch, wenn du dich dafür interessierst.

Daniel Goll

Bereits vor über 20 Jahren entdeckte er das Tradi­tionelle Bogen­schießen für sich und hat bei zahl­reichen Tur­nieren und Meister­schaf­ten geschos­sen. Über die Jahre hinweg hat er viele Bogen­schütz­innen und Bogen­schützen bei ihrem Einstieg in das Bogen­schießen und dem Er­lernen der in­stink­tiven Ziel­tech­nik unterstützt.

Daniel Goll

Bereits vor über 20 Jahren entdeckte er das Tradi­tionelle Bogen­schießen für sich und hat bei zahl­reichen Tur­nieren und Meister­schaf­ten geschos­sen. Über die Jahre hinweg hat er viele Bogen­schütz­innen und Bogen­schützen bei ihrem Einstieg in das Bogen­schießen und dem Er­lernen der in­stink­tiven Ziel­tech­nik unterstützt.